Grusswort April

Wer ist dein Bruder? Wer deine Schwester? 

Mich hat in den letzten Wochen die biblische Geschichte um Kain und Abel immer wieder beschäftigt. Es geht um viele Dinge: Das Verhältnis zu Gott, das Vergleichen miteinander, den Neid, den Umgang mit den eigenen Fehlern und um die Gewalt, die jäh entflammt wenn der Mensch das Maß verliert, sich von Gott löst und sich selbst in den Mittelpunkt stellt. 

Da ist dieses Brüderpaar, ungleich und doch ganz sicher von den Eltern geliebt – von Gott sowieso: Kain und Abel, Kinder von Adam und Eva. Wir kennen die Geschichte: Beim Opfern – also dem Ausdruck dessen, wie man zu seinem Gott steht – offenbaren sich Unterschiede: Gott gefällt das eine Opfer besser als das andere. Nun ist es gar nicht das Haupt-Thema, warum. Das wird nicht mal gesagt! Gott erklärt sich in unserem Leben nicht immer, und so auch damals nicht. Relevant ist der Umgang der Menschen mit ihrem Gott und ihrem Nächsten: Kain vergleicht sich mit Abel und wird zornig. Und obwohl Gott ihn sogar noch darauf hinweist, beschließt er, sich nicht näher mit sich und seiner Einstellung zu Gott zu beschäftigen, sondern erschlägt seinen Bruder. 

Ähnlich verhält sich’s in der Begebenheit von Josef und seinen 11 Brüdern: Auch hier geht’s ums Vergleichen, um das Suchen von Anerkennung, Neid und Gewalt. Anstatt also an ihrem eigenen Verhältnis zu ihrem Vater zu arbeiten, werfen die Brüder Josef in den Brunnen, erklären ihn für tot und verkaufen ihn dann. Dass die Geschichte ein gutes Ende nimmt, ist – wieder unerklärlich! – allein Gottes Eingreifen zu verdanken. 

Und heute?
In den Tagen nach dem furchtbaren Terror-Anschlag in Neuseeland – ein Mensch bringt andere um, weil ihr Verhältnis zu Gott ein anderes ist, vermutlich auch noch aus vielen anderen Gründen – habe ich ein Interview gesehen, das mich nicht mehr loslässt. Ein Mann, der im Rollstuhl sitzt, verliert seine Frau an diesem Tag: Sie sind gemeinsam in der Moschee um zu beten, und sie wird erschossen als sie ihm helfen will. Dieser Mann also wird anschließend gefragt wie er über die Person denkt, die ihm und anderen all dies angetan hat.
„Ich liebe diese Person, denn er ist ein Mensch und damit mein Bruder. Ich kann nicht gutheißen, was er getan hat […]. Vielleicht war er selbst verletzt, hat selbst schlimme Dinge erlebt die ihn dazu gebracht haben, so zu handeln – aber am Ende muss ich doch sagen: Er ist mein Bruder. Ich kann ihn nicht hassen.“

Mich beeindruckt die schier übermenschliche Leistung an Vergebung, zu der dieser Mann imstande war. Und mich beeindruckt die Sicht auf die Welt, die aus diesen Worten spricht.

Seht ihr: Auf der einen Seite die Situation, dass sogar leibliche Brüder es nicht schaffen, friedlich zusammen zu leben – von „der großen Welt“ ganz zu schweigen. Und auf der anderen ein Mensch, der die ganze Welt anders sehen kann. Ist das nicht großartig? Dass wir Menschen nicht nur das Furchtbare, sondern auch das Wunderbare zuwege bringen? 

Der dir Unrecht tut, das ist dein Bruder, deine Schwester.
Der, dem DU Unrecht tust, das ist dein Bruder, deine Schwester. 
Wer dir begegnet, und du kennst ihn nicht, er ist dir vielleicht sogar egal weil die Begegnung kurz und flüchtig ist: Er ist dein Bruder, sie ist deine Schwester. 

Ich wünsche Euch, wünsche mir dass wir das immer mehr so sehen können. Nicht, weil wir müssen, und weil „Liebe deinen Nächsten“ ja ein christliches Gebot ist – sondern, weil’s uns frei macht und unserem Gott und einander näher bringt. Weil’s schon hier eine Welt schafft, die schöner und heller ist.  

Euer Jan